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Literatur

»Es gibt nichts zu erzählen!«
»Es gibt nichts zu erzählen!«

Chantal Akerman

Meine Mutter lacht

Ich bereite mich auf ihren Tod vor. Wie machst du das, fragt jemand. Ich versuche, mir mich ohne sie vorzustellen. Und ich denke, das wird gehen. Nicht für sie. Für mich. Oder das Gegenteil. Aber anscheinend kann man sich nicht wirklich vorbereiten, also vergeude ich meine Zeit. Sie hat schreckliche Lebenslust. Und du? Ich habe keine Ahnung.
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Johannes Binotto

Der Zähmung widersprechen

Von der Zähmung zu sprechen und ihr zu widersprechen muss damit anfangen, das Wort selbst zum Reden zu bringen. »Zahm« – der rätselhafte Ausdruck geht auf dieselben sprachgeschichtlichen Wurzeln zurück wie die Wörter »Damm« und »Zimmer«. Das Zähmen, so macht die Etymologie damit bereits klar, ist ein Akt der Eindämmung, des Abscheidens und der Einpassung. Was einmal gezähmt wurde, hat seither einen klar begrenzten Ort, seine eigene Kammer, in die es fortan nicht einmal mehr eingesperrt werden muss, weil es das Zimmer in Form seiner Zähmung dauernd mit sich herumträgt. Der zahme Bär an der Leine des Schaustellers, wie man ihn noch Anfang des 20. Jahrhunderts auf den Jahrmärkten vorführte, schien zwar auf dem offenen Dorfplatz zu stehen, steckte dabei aber doch eigentlich im grausamen Käfig seines Dompteurs, den dieser ebenso eng wie unsichtbar um ihn gezimmert hatte.

Noch suggestiver ist da das Französische, wo man das zahme Tier »animal privé«...

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Ein Roadtrip ohne Road

Mário Gomes

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Joseph Mitchell für die Westentasche
Joseph Mitchell für die Westentasche

Joseph Mitchell

Die schwarzen Muscheln

»Das ist eine uralte Geschichte«, sagte Mr. Flood. »Sechzehn verschiedene Fassungen kenn ich davon. Vor Jahren hab ich in einer Vaudeville-Show sogar mal eine schlüpfrige gehört. Ich erzähl sie so, wie mein Daddy sie immer erzählt hat. Da war also ein alter Farmer, der an einer Nebenstrecke in Süd-Jersey lebte, und gelegentlich stieg er in den Zug und fuhr nach Trenton und kaufte sich einen Krug Applejack. Er kaufte ihn gleich bei der Brennerei, der alten ­Bossert & Stockton Apple...
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Axel Dielmann

»Können Sie sich so etwas vorstellen?«

Wahrscheinlich mussten die Kuratoren fürchten, jemand stolperte über die Stufen beim Blick an ihre Wände, unachtsam vom Bilderansehen – kann es sein, dass ich eben unten an dem ersten Objekt der Ausstellung einfach vorbeigegangen bin? Nummer 1, »Schleier ohne Form. Vorhang…«. Muss an der Wand direkt zwischen Eingang und Abgang… »Lieber Herr Kollege…!«, und Aufgang angebracht gewesen sein, »… Vorhang. Höhe 310 cm, Breite 475 cm«, ich müsste das doch vom letzten Gangabschnitt her schon gesehen haben, wandhohes Ding. Was ich hier übersehe, geht mir durch den Kopf, wäre das Wesentliche. Was noch die schlichteste Form von Analyse ist. Eigentlich müsste ich, weiß ich, zurückgehen im sacht aufsteigenden Wendelstein. Aber er ist zu Ende, vor mir öffnet sich entlang einer letzten flachen Stufe das Anatomische Theater. Licht.

Dem rechteckigen Raum eingeschrieben ist das Oval einer hölzernen, braun glänzenden Balustrade, von der aus sieht man nach unten. Irgendwo wird hier geflüstert. In drei enger...

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Mário Gomes

Über literarische Sprengkraft

Kaum etwas setzt schneller Rost an als Kriegsgerät und Literatur. Da nützt weder Pflege noch Wartung, am besten ist es, man lässt das Material einrosten und rüstet derweil am anderen Ende nach, erweitert Bestände, feilt an Technologien und poliert vor allem die Oberflächen auf Hochglanz, bzw. man nimmt den einfachen Weg und lässt eine Glanzschicht auftragen – einen feinen, seidenen Film –, denn so geht das heutzutage: man trägt auf. Dieser chemische Glanz der Panzer und Bücher kommt von der Sprühdose. Er hält allerdings nicht lange, sondern schwindet, sobald das Auge sich abwendet, und das Auge wendet sich schnell ab. Wo der Blick dann aber als nächstes hin eilt, glitzert und funkelt es wieder: bei jeder Militärparade wie bei jeder Buchmesse.

Dieser Glanz ist jedoch bei weitem nicht das einzige, was Krieg und Literatur verbindet. Ihre Verknüpfungen sind vielfältig und verworren. Wo Gewalt aufhört und das Schriftzeichen anfängt, ist selten klar,...

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